Rechtsanwalt in Hannover

Rechtstipp vom 30.03.2020 [Hinweis: UPDATE vom 21.04.2020!]
Widerruf von Darlehensverträgen

EuGH – Widerruf auch von neueren Privatkrediten (Darlehen und KFZ-Finanzierungen) evtl. möglich [Hinweis: UPDATE vom 23.04.2020, s. u.]

Der sogenannte „Widerrufsjoker“ im neuen Gewand: Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 26.03.2020 (Az: C-66/19) eine in Immobilienkrediten und Kfz-Finanzierungsverträgen vielfach verwendete Klausel für unvereinbar mit dem europäischen Recht erklärt.

In dem betreffenden Verfahren stand ein Immobiliendarlehensvertrag einer Kreissparkasse zur Überprüfung, der vorsah, dass der Darlehensnehmer seine Vertragserklärungen innerhalb von 14 Tagen widerrufen könne und dass diese Frist nach Abschluss des Vertrages zu laufen beginne, sobald der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach einer bestimmten Vorschrift des BGB erhalten habe. Die Pflichtangaben selbst führte der Vertrag nicht auf. Der EuGH stellte klar, dass Verbraucherkreditverträge in klarer und prägnanter Weise die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben müssten. Es reiche nicht, auf eine nationale Vorschrift zu verweisen, die selbst auf weitere nationale Vorschriften verweise (sog. Kaskadenverweis).

In vielen Kreditverträgen, die nach Juni 2010 abgeschlossen wurden, sind nach dieser Auffassung des Gerichtshofs damit unzureichende Informationen zum Widerrufsrecht enthalten. Dies kann weitreichende Konsequenzen haben: Die Widerrufsfrist beginnt möglicherweise nicht zu laufen, d.h. die Verbraucher können ggf. danach das Widerrufsrecht auch noch Jahre nach Abschluss dieses Vertrages ausüben.

Erhebliche Relevanz kann diese Rechtsprechung voraussichtlich für zwei Arten von Darlehensverträgen haben:

  • die Immobilienfinanzierung und
  • die Kfz-Finanzierung.

Bei der Bau- bzw. Immobilienfinanzierung können Immobilienbesitzer, die ihre Darlehensverträge ab Juni 2010 abgeschlossen haben, die Widerrufsmöglichkeiten prüfen lassen, um evtl. vorzeitig aus einem teuren Kredit auszusteigen. Das aktuelle Zinsniveau liegt erheblich unter den Zinssätzen der vergangenen Jahre. Eine Ersparnis durch Neuabschluss eines günstigeren Darlehensvertrages kann leicht mehrere tausend Euro betragen.

Bei Kfz-Finanzierungen kann die aktuelle EuGH-Rechtsprechung sogar dazu führen, dass über die Widerrufsmöglichkeit des Darlehensvertrages auch der Kfz-Kaufvertrag rückabgewickelt und damit das Fahrzeug zurückgegeben werden kann. Dies ist nach wie vor für die Diesel-Besitzer interessant, die bisher noch keine Ansprüche auf Rückgabe ihres Pkw gestellt haben, nun aber vermehrt unter dem erheblichen Wertverfall ihres Fahrzeuges leiden.

In der EuGH-Entscheidung war nicht zu befinden, wie nach deutschem Zivilrecht zu würdigen ist, wenn der Darlehensgeber die gesetzlich formulierten Muster-Widerrufsbelehrungen umsetzte. Nach dem Urteil des EuGH dürften auch einige Muster-Widerrufsbelehrungen gegen die Verbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates) verstoßen. Insoweit bleibt abzuwarten ob und ggf. wie der letztlich zuständige BGH das EuGH-Urteil umsetzt.

Das EuGH-Urteil steigert in vielen Fällen die Chancen vom „Widerrufsjoker“ zu profitieren. Entscheidend ist aber der individuelle Sachverhalt des jeweils Betroffenen, insbesondere der Text der verwendeten Widerrufsbelehrung. Lassen Sie Ihre möglichen Ansprüche prüfen. Wir helfen Ihnen dabei!

[UPDATE vom 21.04.2020]: Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf das vorgenannte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 26.03.2020 (Az: C-66/19) ausgesprochen schnell reagiert. Bereits mit Beschluss vom 31.03.2020 (Az: XI ZR 581/18) hielt der Senat fest, die Entscheidung des EuGH sei für grundpfandrechtlich gesicherte Immobiliendarlehensverträge in Deutschland nicht einschlägig. Der deutsche Gesetzgeber habe die Verbraucherkreditrichtlinie nicht für Immobiliendarlehen als maßgeblich erachtet. Das deutsche Recht habe eine vergleichbare Gesetzgebung für grundpfandrechtlich gesicherte Immobiliendarlehensverträge bereits vor Erlass der Verbraucherkreditrichtlinie vorgesehen, sodass in der über die Richtlinie hinausreichenden Bestimmung keine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie liege. Damit bleibe es bei der alleinigen Berücksichtigung nationalen Rechts, wobei der BGH die streitgegenständliche Widerrufsinformation (nationalrechtlich) für klar und verständlich erachte.

Für Verbraucher bedeutet diese schnelle und klare Einschätzung des BGH, dass bei grundpfandrechtlich gesicherten Immobiliendarlehensverträgen ein Widerrufsrecht auf die Einschätzung des EuGH mit Urteil vom 26.03.2020 wohl nicht gestützt werden kann. Insoweit sind oben bezeichnete Annahmen hinsichtlich grundpfandrechtlich besicherter Immobiliendarlehenensverträge nach derzeitiger Rechtsprechung bereits überholt.

zurück

© von Lilienfeld Rechtsanwälte Notarin
Tiergartenstraße 71, 30559 Hannover 0511 ‑ 563 595‑0

KontaktImpressumDatenschutz • Online Marketing by OMERGY