Rechtsanwalt in Hannover

Rechtstipp vom 13.06.2017
Dieselskandal: BGH hat erstmals entschieden!

Im Abgasskandal gibt es eine erste Einschätzung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 06.06.2018)

Trotz zivilprozessualer Anknüpfung hat die Entscheidung erhebliche Bedeutung für die Geschädigten des Abgasskandals (Dieselgate):

Der BGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein auf Rückabwicklung in Anspruch genommener VW-Händler und die auf Schadensersatz in Anspruch genommene Volkswagen AG Streitgenossen i.S. der §§ 36 Abs. 1 Ziff. 3, 59, 60 ZPO sind.

Der Leitsatz der Entscheidung lautet wie folg:

„Macht der Käufer eines Kraftfahrzeuges gegen den Verkäufer Ansprüche wegen eines behaupteten Sachmangels (hier: im Fahrbetrieb abgeschalteter Abgasreinigungseinrichtungen) und gegen den Hersteller des Fahrzeugs Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend, die auf Vortäuschung eines mangelfreien Zustandes gestützt werden, können Verkäufer und Hersteller als Streitgenossen gemeinschaftlich verklagt werden.“

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klagepartei nimmt einen VW-Händler auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Dieselfahrzeug der Marke VW sowie die Volkswagen AG auf Feststellung in Anspruch, dass diese ihr alle aus der Beschaffenheit der Abgasreinigungseinrichtung des Fahrzeugs entstandenen Schäden ersetzen muss. Die Klage wurde am Sitz des Händlers erhoben. Das zunächst angegangene Gericht hielt sich für örtlich unzuständig und legte die Sache zur Entscheidung über die Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Stuttgart vor. Dieses sah sich an einer Zuständigkeitsbestimmung gehindert, da das Oberlandesgericht Nürnberg bereits mit Beschluss vom 25.04.2017 entschieden hatte, dass es an einer Streitgenossenschaft fehle. Daher wurde die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof hat das zuerst angegangene Gericht am Sitz des Händlers für zuständig bestimmt. Der Bundesgerichtshof stellt fest (Hervorhebungen von hier):

„1. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind erfüllt.

a) Die Beklagten werden als Streitgenossen im Sinne von §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen.

Die hier allein in Betracht kommende Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist, wovon der Vorlagebeschluss und der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg übereinstimmend ausgehen, grundsätzlich weit auszulegen. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt …. .

Die gegen den Verkäufer und den Hersteller gerichteten Ansprüche sind ihrem Inhalt nach gleichartig, weil sie jeweils darauf gerichtet sind, den Kläger von den Folgen seiner Kaufentscheidung zu befreien. Sie werden auf einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt gestützt, beruhen also auf im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Gründen: Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens gegen beide Beklagte sind der Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch des verkauften Fahrzeugs, darauf bezogene werbende Äußerungen der Beklagten zu 2 und deren Einfluss auf die Kaufentscheidung der Klägerin. Dass weitere Sachverhaltselemente nur im Verhältnis zur einen oder zur anderen Beklagten relevant sein mögen, ist unschädlich, denn § 60 ZPO verlangt nicht, dass die anspruchsrelevanten Sachverhalte deckungsgleich sind. Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Anspruchsgründe im Wesentlichen gleichartig, denn die in Rede stehenden Herstellerangaben stellen nach der Klagebegründung unter kaufrechtlichen wie deliktsrechtlichen Gesichtspunkten ein wesentliches Anspruchselement dar. Sie sind nicht nur unmittelbarer Anknüpfungspunkt für die gegen die Beklagte zu 2 erhobenen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für die Sollbeschaffenheit der Kaufsache (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) auch für die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche von zentraler Bedeutung. Die nur im Verhältnis zu einzelnen Beklagten relevanten zusätzlichen Aspekte (Erfordernis einer Gelegenheit zur Nacherfüllung einerseits, Zurechnungs- und Kausalitätsfragen andererseits) stehen entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg rechtlich nicht derart im Mittelpunkt, dass sie die wesentliche Gleichartigkeit des Anspruchsgrundes in rechtlicher Hinsicht in Frage stellen könnten.

b) Die Beklagten haben ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten.

c) Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann dahinstehen, ob für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist. Zur Vermeidung einer auf Zuständigkeitszweifeln beruhenden Verfahrensverzögerung, die mit einer Klärung der Zuständigkeitsfrage durch klageabweisendes Prozessurteil und Rechtsmittel verbunden wäre, genügt es, dass das angerufene Landgericht Ellwangen seine örtliche Zuständigkeit für die Klage gegen die Beklagte zu 2 verneinen möchte (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2017, 94 Rn. 14 f.).

2. Für die Bestimmung des Landgerichts Ellwangen als zuständiges Gericht sprechen Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit, da der Rechtsstreit dort bereits anhängig ist und einigen Fortgang genommen hat. Der bundesweit am Markt auftretenden Beklagten zu 2 ist zudem eine Prozessführung am Sitz des jeweiligen Verkäufers eher zumutbar als diesem eine Prozessführung am Sitz des Kraftfahrzeugherstellers. Vor diesem Hintergrund kommt es auch für Zwecke der Gerichtsstandsbestimmung nicht entscheidend darauf an, ob das Landgericht Ellwangen ohnehin nach § 32 ZPO auch für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage zuständig ist.“

Praxistipp:

Mit dieser Entscheidung hat sich – soweit ersichtlich – erstmals der Bundesgerichtshof mit dem Abgas-/Dieselskandal – wenn auch am Rande – beschäftigt. Der praktische Nutzen der Entscheidung ist in etlichen Fällen erheblich. Kläger können eine Zuständigkeit von Klagen gegen Volkswagen am Sitz des VW-Händlers begründen. Dies kann nach der derzeitigen „Rechtsprechungslandschaft“ entscheidenden Einfluss auf die Verfahrensentwicklung haben. Auffällig sind auch die Kürze der Verfahrensdauer bei dem BGH sowie der Umstand, dass die Entscheidung – jedenfalls in Ansehung der Volkswagen AG – nicht anonymisiert ergangen ist. Interessant ist gleichfalls, dass der Bundesgerichtshof nicht das Landgericht Braunschweig als zuständiges Gericht bestimmt hat, was aufgrund der Orts- und Sachnähe ggfs. naheliegend gewesen wäre.

Mit dieser Entscheidung ist erneut Bewegung im Dieselskandal! Lassen Sie Ihre Ansprüche prüfen. Wir stehen Ihnen für die Beratung und Geltendmachung Ihrer Ansprüche zur Verfügung. Sprechen Sie uns an. Frau Rechtsanwältin Dr. Viviane von Lilienfeld-Toal steht Ihnen in unserer Kanzlei als Ansprechpartnerin zur Verfügung.

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